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Schneeweißchen und Rosenrot


Schneeweißchen und Rosenrot

Schneeweißchen und Rosenrot-54

Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ruhig und glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit und sie standen vor ihrem Fenster und trugen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und rot.

Schneeweißchen und Rosenrot-53

Schneeweißchen ward mit ihm vermählt und Rosenrot mit seinem Bruder und sie teilten die großen Schätze miteinander, die der Zwerg in seine Höhle zusammengetragen hatte.

Schneeweißchen und Rosenrot-52

Da erkannten sie seine Stimme und blieben stehen und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab und er stand da als ein schöner Mann und war ganz in Gold gekleidet. „Ich bin eines Königs Sohn,“ sprach er, „und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.“

Schneeweißchen und Rosenrot-51

Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze und es regte sich nicht mehr. Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach „Schneeweißchen und Rosenrot, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.“

Schneeweißchen und Rosenrot-50

Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmächtigen Kerl? Ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen. Da, die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die fresst in Gottes Namen.“

Schneeweißchen und Rosenrot-49

Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst „Lieber Herr Bär, verschont mich, ich will euch alle meine Schätze geben, sehet, die schönen Edelsteine, die da liegen.

Schneeweißchen und Rosenrot-48

Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ und ein schwarzer Bär aus dem Walde herbeitrabte.

Schneeweißchen und Rosenrot-47

Die Abendsonne schien über die glänzenden Steine, sie schimmerten und leuchteten so prächtig in allen Farben, dass die Kinder stehen blieben und sie betrachteten. „Was steht ihr da und gafft!“ schrie der Zwerg und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberrot vor Zorn.

Schneeweißchen und Rosenrot-46

Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte, dass so spät noch jemand daherkommen würde.

Schneeweißchen und Rosenrot-45

Die Mädchen waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort und verrichteten ihr Geschäft in der Stadt.

Schneeweißchen und Rosenrot-44

Als der Zwerg sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, schrie er mit seiner kreischenden Stimme „Konntet ihr nicht säuberlicher mit mir umgehen? Gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen, dass es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und täppisches Gesindel, das ihr seid!“ Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen und schlüpfte wieder unter den Felsen in seine Höhle.

Schneeweißchen und Rosenrot-43

Sie liefen herzu und sahen mit Schrecken, dass der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest und zerrten sich so lange mit dem Adler herum, bis er seine Beute fahren ließ.

Schneeweißchen und Rosenrot-42

Da sahen sie einen großen Vogel in der Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer herabsenkte und endlich, nicht weit bei einem Felsen, niederstieß. Gleich darauf hörten sie einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei.

Schneeweißchen und Rosenrot-41

Dann holte er einen Sack Perlen, der im Schilfe lag und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort und verschwand hinter einem Stein. Es trug sich zu, dass bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach der Stadt schickte, Zwirn, Nadeln, Schnüre und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut lagen.

Schneeweißchen und Rosenrot-40

Als der Zwerg das sah, schrie er sie an, „Ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu schänden? Nicht genug, dass ihr mir den Bart unten abgestutzt habt, jetzt schneidet ihr mir den besten Teil davon ab. Ich darf mich vor den Meinigen gar nicht sehen lassen. Dass ihr laufen müsstet und die Schuhsohlen verloren hättet!“

Schneeweißchen und Rosenrot-39

Es blieb nichts übrig als die Schere hervorzuholen und den Bart abzuschneiden, wobei ein kleiner Teil desselben verloren ging.

Schneeweißchen und Rosenrot-38

Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest und versuchten den Bart von der Schnur loszumachen, aber vergebens, Bart und Schnur waren fest ineinander verwirrt.

Schneeweißchen und Rosenrot-37

Zwar hielt er sich an allen Halmen und Binsen, aber das half nicht viel, er musste den Bewegungen des Fisches folgen und war in beständiger Gefahr ins Wasser gezogen zu werden.

Schneeweißchen und Rosenrot-36

Der Kleine hatte dagesessen und geangelt und unglücklicherweise hatte der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten. Als gleich darauf ein großer Fisch anbiss, fehlten dem schwachen Geschöpf die Kräfte ihn herauszuziehen. Der Fisch behielt die Oberhand und riss den Zwerg zu sich hin.

Schneeweißchen und Rosenrot-35

„Wo willst du hin?“ sagte Rosenrot, „Du willst doch nicht ins Wasser?“ „Solch ein Narr bin ich nicht,“ schrie der Zwerg, „seht ihr nicht, der verwünschte Fisch will mich hineinziehen?“

Schneeweißchen und Rosenrot-34

Als sie nahe bei dem Bach waren, sahen sie, dass etwas wie eine große Heuschrecke auf das Wasser zu hüpfte, als wollte es hineinspringen. Sie liefen heran und erkannten den Zwerg.

Schneeweißchen und Rosenrot-33

Damit schwang er seinen Sack auf den Rücken und ging fort ohne die Kinder nur noch einmal anzusehen. Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosenrot ein Gericht Fische angeln.

Schneeweißchen und Rosenrot-32

Sobald der Zwerg sich frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des Baums steckte und mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus und brummte vor sich hin „Ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von meinem stolzen Barte ab! Soll euch der Kuckuck holen!“

Schneeweißchen und Rosenrot-31

„Sei nur nicht ungeduldig,“ sagte Schneeweißchen, „ich will schon Rat schaffen,“ holte seine Schere aus der Tasche und schnitt das Ende des Bartes ab.

Schneeweißchen und Rosenrot-30

Die Kinder gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht herausziehen, er steckte zu fest. „Ich will laufen und Leute herbeiholen“ sagte Rosenrot. „Wahnsinnige Schafsköpfe,“ schnarrte der Zwerg, „wer wird gleich Leute herbeirufen, ihr seid mir schon um zwei zu viel, fällt euch nicht besseres ein?“

Schneeweißchen und Rosenrot-29

Ich hatte den Keil schon glücklich hineingetrieben und es wäre alles nach Wunsch gegangen, aber das verwünschte Holz war zu glatt und sprang unversehens heraus und der Baum fuhr so geschwind zusammen, dass ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte. Nun steckt er drin und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milchgesichter! Pfui, was seid ihr garstig!“

Schneeweißchen und Rosenrot-28

„Dumme, neugierige Gans,“ antwortete der Zwerg, „den Baum habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz in der Küche zu haben. Bei den dicken Klötzen verbrennt gleich das bisschen Speise, das unser einer braucht, der nicht so viel hinunterschlingt wie ihr, grobes, gieriges Volk.

Schneeweißchen und Rosenrot-27

Er glotzte die Mädchen mit seinen roten feurigen Augen an und schrie „Was steht ihr da! Könnt ihr nicht herbeigehen und mir Beistand leisten?“ „Was hast du angefangen, kleines Männchen?“ fragte Rosenrot.

Schneeweißchen und Rosenrot-26

Als sie näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten verwelkten Gesicht und einem ellenlangen schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes war in eine Spalte des Baums eingeklemmt und der Kleine sprang hin und her wie ein Hündchen an einem Seil und wusste nicht wie er sich helfen sollte.

Schneeweißchen und Rosenrot-25

Der Bär lief eilig fort und war bald hinter den Bäumen verschwunden. Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald, Reisig zu sammeln. Da fanden sie draußen einen großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden und an dem Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie konnten aber nicht unterscheiden was es war.

Schneeweißchen und Rosenrot-24

Schneeweißchen war ganz traurig über den Abschied und als es ihm die Türe aufriegelte und der Bär sich hinausdrängte, blieb er an dem Türhaken hängen und ein Stück seiner Haut riss auf und da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern sehen, aber es war seiner Sache nicht gewiss.

Schneeweißchen und Rosenrot-23

„Ich muss in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten. Im Winter, wenn die Erde hartgefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgetaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen. Was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder an des Tageslicht.“

Schneeweißchen und Rosenrot-22

Als das Frühjahr herangekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen „Nun muss ich fort und darf den ganzen Sommer nicht wiederkommen.“ „Wo gehst du denn hin, lieber Bär?“ fragte Schneeweißchen.

Schneeweißchen und Rosenrot-21

Von nun an kam der Bär jeden Abend zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd und erlaubte den Kindern Unfug mit ihm zu treiben, so viel sie wollten und sie waren so gewöhnt an ihn, dass die Tür nicht eher zugeriegelt ward, als bis der schwarze Gesell angelangt war.

Schneeweißchen und Rosenrot-20

Als Schlafenszeit war und die andern zu Bett gingen, sagte die Mutter zu dem Bär „Du kannst am Herde liegen bleiben, so bist du vor der Kälte und dem bösen Wetter geschützt.“ Sobald der Tag graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus und er trabte über den Schnee in den Wald hinein.

Schneeweißchen und Rosenrot-19

Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn sies gar zu arg machten, rief er „Lasst mich am Leben, ihr Kinder."

Schneeweißchen und Rosenrot-18

Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut und trieben Mutwillen mit dem unbeholfenen Gast. Sie zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken und wälzten ihn hin und her oder sie nahmen eine Haselrute und schlugen auf ihn los und wenn er brummte, so lachten sie.

Schneeweißchen und Rosenrot-17

Der Bär sprach „Ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,“ und sie holten den Besen und kehrten dem Bär das Fell rein. Er aber streckte sich ans Feuer und brummte ganz vergnügt und behaglich.

Schneeweißchen und Rosenrot-16

Da kamen sie beide heran und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen und hatten keine Furcht vor ihm.

Schneeweißchen und Rosenrot-15

„Du armer Bär,“ sprach die Mutter, „leg dich ans Feuer und gib nur acht, dass dir dein Pelz nicht brennt.“ Dann rief sie „Schneeweißchen, Rosenrot, kommt hervor, der Bär tut euch nichts, er meints ehrlich.“

Schneeweißchen und Rosenrot-14

Der Bär aber fing an zu sprechen und sagte „Fürchtet euch nicht, ich tue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.“

Schneeweißchen und Rosenrot-13

Rosenrot ging und schob den Riegel weg und dachte es wäre ein armer Mann, aber der war es nicht. Es war ein Bär, der seinen dicken schwarzen Kopf zur Türe hereinstreckte. Rosenrot schrie laut und sprang zurück, das Lämmchen blökte, das Täubchen flatterte auf und Schneeweißchen versteckte sich hinter dem Bett der Mutter.

Schneeweißchen und Rosenrot-12

Eines Abends, als sie so vertraulich beisammensaßen, klopfte jemand an die Tür, als wollte er hereingelassen werden. Die Mutter sprach „Geschwind, Rosenrot, mach auf, es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.“

Schneeweißchen und Rosenrot-11

Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mutter „Geh, Schneeweißchen und schieb den Riegel vor,“ und dann setzten sie sich an den Herd und die Mutter nahm die Brille und las aus einem großen Buch vor und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und spannen. Neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.

Schneeweißchen und Rosenrot-10

Im Sommer besorgte Rosenrot das Haus und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen Blumenstrauß vors Bett. Darin war von jedem Bäumchen eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an und hing den Kessel an den Feuerhaken und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert.

Schneeweißchen und Rosenrot-9

Die Mutter aber sagte ihnen, das müsste der Engel gewesen sein, der gute Kinder bewache. Schneeweißchen und Rosenrot hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, dass es eine Freude war hineinzuschauen.

Schneeweißchen und Rosenrot-8

Es stand auf und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts und ging in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrund geschlafen und wären gewiss hineingefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weitergegangen wären.

Schneeweißchen und Rosenrot-7

Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten und das Morgenrot sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen.

Schneeweißchen und Rosenrot-6

Kein Unfall traf sie. Wenn sie sich im Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das Moos und schliefen bis der Morgen kam und die Mutter wusste das und hatte ihretwegen keine Sorge.

Schneeweißchen und Rosenrot-5

Oft liefen sie im Walde allein umher und sammelten rote Beeren, aber kein Tier tat ihnen etwas zu leid, sondern sie kamen vertraulich herbei. Das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen, das Reh graste an ihrer Seite, der Hirsch sprang ganz lustig vorbei und die Vögel blieben auf den Ästen sitzen und sangen was sie nur wussten.

Schneeweißchen und Rosenrot-4

Die beiden Kinder hatten einander so lieb, dass sie sich immer an den Händen fassten, so oft sie zusammen ausgingen und wenn Schneeweißchen sagte „Wir wollen uns nicht verlassen,“ so antwortete Rosenrot „So lange wir leben nicht,“ und die Mutter setzte hinzu „Was das eine hat, solls mit dem andern teilen.“

Schneeweißchen und Rosenrot-3

Rosenrot sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fing Sommervögel. Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen oder las ihr vor, wenn nichts zu tun war.

Schneeweißchen und Rosenrot-2

Sie waren so fromm und gut, so fleißig und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind. Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenrot.

Schneeweißchen und Rosenrot-1

Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem Hüttchen und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen. Davon trug das eine weiße, das andere rote Rosen. Und sie hatte zwei Kinder, die glichen den beiden Rosenbäumchen, das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenrot.